Leichtathletik-EM 2012 in Helsinki:

Vom Fliegen mit und ohne Stab

Björn Otto bestreitet heute Mittag die Stabhochsprung-Qualifikation - Ziel: Medaille

HELSINKI. Vielleicht ist es das letzte Wettkampfjahr von Björn Otto. Der Traum vom Fliegen harrt noch der Erfüllung. Vom Fliegen ohne Stab. Das Fliegen mit Stab müsste er dann aufgeben. Ein Job als Pilot und professioneller Leistungssport, das ist nicht unter einen Hut zu bringen. Unabhängig davon, ob er seine Sportlerkarriere abschließen wird oder nicht: In diesem Jahr soll es hoch hinaus gehen. Mit Stab. Und Medaillen soll es geben. Zunächst an diesem Wochenende bei der EM in Helsinki, dann bei den Olympischen Spielen in London. Diesen Anspruch hat er als Dritter der Stabhochsprung-Weltrangliste.

34 Jahre ist der gebürtige Frechener mittlerweile. Seine Leistungen finden damit auch Eingang in die Seniorenbestenliste. „Das klingt alt für einen Leichtathleten, aber für einen Stabhochspringer ist es kein Alter, in dem man ans Aufhören denken muss.“ Wenn er aufhört, dann nicht wegen der nahenden Rente, sondern – natürlich – um sich den Traum des Fliegens zu erfüllen. Er erinnert an den US-Amerikaner Jeff Hartwig, der 2008 noch in der Olympia-Mannschaft seines Landes in Peking an den Start ging. Mit 40 Jahren.

„Sicher, man regeneriert nicht mehr so schnell, man hat mehr Verletzungen, wenn man was älter ist“, räumt der Athlet des LAV Bayer Uerdingen/Dormagen ein. Immerhin haben ihn Verletzungen in den vergangenen Jahren immer wieder ausgebremst. Seine letzte wirklich erfolgreiche Saison war 2007. Damals sprang er seine noch aktuelle Bestleistung von 5,90 Meter, verpasste in Osaka knapp eine WM-Medaille. „2009 ist die linke Achillessehne gerissen, 2010 die rechte. Das sind keine Verletzungen, die man mal eben in drei Wochen auskuriert.“ Er empfindet es als ein bedeutendes Stück Lebensqualität, weitgehend schmerzfrei trainieren zu können. Und es ist für ihn eine einfache Erklärung, warum es in diesem Jahr wieder rund läuft, beim Springen mit dem Stab: „Mir tut nix weh.“

Als Konsequenz aus der Verletzungsmisere haben er und sein Coach Michael Kühnke das Training umgestellt. „Es wird fußschonend trainiert. Weniger Sprünge zum Beispiel an den Hürden. Alles, was man nicht unbedingt braucht, lassen wir weg. Ich habe mehr als 25 Jahre Leistungssport in den Knochen.“

Der Traum vom Fliegen ohne Stab hat Otto zwar stets im Hinterkopf, doch das Fliegen mit Stab hat in den kommenden Wochen erst einmal absolute Priorität. Heute um 13.15 Uhr Ortszeit (Deutschland: 12.15) steht im alt-ehrwürdigen Olympiastadion von Helsinki die EM-Qualifikation im Stabhochsprung an, am Sonntag um 16.15 Uhr (15.15) das Finale. Die Konkurrenz bei den Europameisterschaften und den Olympischen Spielen ist in diesem Jahr durchaus vergleichbar – die ersten sechs der Weltrangliste sind Europäer. Ohne Frage haben die Spiele in London den höheren Stellenwert. Bester 2012 war bisher der Wattenscheider Malte Mohr (5,91). Der Franzose Renaud Lavillenie kam auf 5,90, Otto auf 5,82 Meter. „Eine Medaille“ ist daher eine angemessene Zielsetzung.

Ob er seinen Traum vom Fliegen in Form einer Pilotenausbildung in diesem Jahr noch angeht, hängt auch ein wenig vom Abschneiden in London ab. Als erfolgreicher und mit Edelmetall dekorierter Olympionike könne er sich durchaus vorstellen, noch eine Saison dranzuhängen. Mit Stab.

Wolfgang Birkenstock



Freut sich über EM-Silber: Björn Otto.
Foto: Wolfgang Birkenstock



„Sechs Meter sind machbar“

Björn Otto holt in einem hochklassigen Stabhochsprung-Finale EM-Silber

HELSINKI. Was ein Wettkampf, was ein Duell. Das Stabhochsprung-Finale der Männer war gut am letzten Tag der Leichtathletik-Europameisterschaften platziert. Es war der hochklassigste und spannendste Wettbewerb der fünf Tage von Helsinki. Renaud Lavillenie und Björn Otto lieferten sich in großer Höhe einen faszinierenden Zweikampf. Der Franzose siegte mit 5,97 Meter, Otto wurde mit 5,92 Meter Zweiter.

Die Qualifikation einen Tag zuvor hatte der Athlet des LAV Bayer Uerdingen/Dormagen souverän und kraftsparend absolviert. Ein Sprung über 5,50 Meter, das war's. „Der Wind ist brutal“, war seine Erkenntnis aus dem Kurzauftritt. Er kannte das Stadion noch nicht, es war sein erster Wettkampf in Helsinki.

Die Windverhältnisse blieben auch im Finale „tricky“. Gegenwind, Rückenwind, und das im ständigen Wechsel. „Es war kein einfacher Wettkampf, der Wind ist in dem Stadion unberechenbar.“ Mit seinen 34 Jahren kam Otto mit am besten damit klar. Erfahrung hat eben noch nie geschadet.

Ab 5,82 Meter waren Lavillenie und Otto unter sich. Raphael Holzdeppe (Zweibrücken) und Malte Mohr (Wattenscheid), vor den Titelkämpfen in Helsinki mit 5,91 Metern Europas Bester, kamen bis 5,77 Meter. Aufgrund der geringeren Anzahl an Fehlversuche gab es Bronze für Holzdeppe.

Bei 5,82 Metern zeigte Lavillenie Nerven, er brauchte drei Versuche. Aber dann lieferte er eine eindrucksvolle Serie ab. 5,87, 5,92 und 5,97 Meter schaffte er im jeweils ersten Anlauf. „Er springt konstant auf hohem Niveau“, zollt ihm Otto Respekt. Er selbst hatte es bei 5,77 und 5,82 Meter spannend gemacht. „Ich habe genug Wettkampferfahrung und weiß, dass man im dritten Versuch noch was erreichen kann.“ Zwei Anläufe brauchte er für 5,92 Meter, auf die anderen Höhen verzichtet er. Doch die taktische Finesse ging ins Leere, da sich der Franzose schadlos hielt. An 6,02 Meter scheiterten beide.

Björn Otto könnte sich an dieses Edelmetall gewöhnen. „Wenn das in diesem Jahr mit Silber so weitergeht . . .“ Im März hatte er bereits bei der Halle-WM Silber gewonnen, jetzt bei der EM in Helsinki. Und auch im Winter lag der Franzose Lavillenie vor ihm.

Jetzt richtet sich der Blick nach vorne. In einem Monat geht es nach London zu den Olympischen Spielen. „Mit 5,92 Meter kann man bei Olympia definitiv eine Medaille holen. Und sechs Meter sind auch machbar.“

Wolfgang Birkenstock