Leichtathletik-WM 2013 in Moskau:

Die traumatische Vier

Russischer Abend bei der Leichtathletik-WM in Moskau. Jelena Issinbajewa gewinnt den Stabhochsprung. Spiegelburg verpasst knapp Medaille.

MOSKAU. „Ich muss einfach nur raus hier“, sagte Silke Spiegelburg, während draußen im fast ausverkauften Moskauer Olympiastadion Jelena Issinbajewa die Zuschauer zur Verzückung trieb. Die russische Stabhochsprung-Weltrekordhalterin hat zwar nicht mehr die Souveränität, mit der sie in früheren Jahren die Szene nach Belieben beherrschte, das WM-Finale am gestrigen Abend machte sie aber dennoch zur Ein-Frau-Show. Bei 4,89 Meter wurden die Medaillen verteilt. Issinbajewa war die einzige, die diese Höhe packte. Spiegelburg wurde schon wieder – Vierte.

Frust bei Silke Spiegelburg: Mal wieder Vierte.
Foto: Wolfgang Birkenstock

So langsam entwickelt sich die Vier zu einem Trauma für die Leverkusenerin. Wie im vergangenen Jahr bei der Hallen-WM in Istanbul, der EM in Helsinki und den Olympischen Spielen in London. Oder bei der WM 2009 in Berlin. Immer der leidige vierte Platz.

Dabei lieferte sie in der russischen Hauptstadt einen guten Wettkampf ab. „Ich kann mir nichts vorwerfen. Das einzige ist: Ich hätte ein bisschen ruhiger bei 4,82 Metern sein müssen. Da war ich vielleicht ein bisschen hibbelig.“ Bei 4,82 Meter waren, genau, noch vier Springerinnen im Wettbewerb. Der ein oder andere mag da schon böse Vorahnungen gehabt haben. Die beiden anderen deutschen Springerinnen waren zu diesem Zeitpunkt schon ausgeschieden. Kristina Gadschiew vom LAZ Zweibrücken kam bis 4,45 Meter, Platz zehn, die Ludwigshafenerin Lisa Ryzih bis 4,55 Meter, was für Rang acht reichte. Sie blieb nach ihrem Ausscheiden noch an der Anlage. „Ich hatte Vip-Plätze in der ersten Reihe. Da wollte ich nicht gehen. Ich konnte zuschauen und so viel lernen, aus nächster Nähe. Ich konnte den Mädels in die Augen sehen, als es um die Medaillen ging, sehen, wie sie drauf sind und was sie für Emotionen haben. Man sieht es in ihren Augen: Sie geben alles, egal was kommt und beißen sich drüber.“

Wer an den Sprint denkt, denkt an Usain Bolt. Doch wer in Russland an Leichtathletik denkt, denkt an Jelena Issinbajewa. Es war der russische Abend im Moskauer Olympiastadion, das während der Titelkämpfe noch nicht so gut besucht war – selbst Jamaikas Wundersprinter lockte am Sonntagabend nicht so viele Zuschauer an. Die Fans quittierten jeden der insgesamt neun Sprünge Issinbajewa mit frenetischem Jubel. Für 4,82 Meter benötigte sie zwei Anläufe, wie auch Jennifer Suhr (USA), die Silber holte. Spiegelburg scheiterte an dieser entscheidenden Höhe denkbar knapp. Beim zweiten Sprung war sie schon fast drüber, aber der Abstand zur Latte passte nicht ganz. Im dritten Versuch brach sie den Anlauf ab, und dann wurde die Zeit knapp.

Aber noch war Bronze möglich: Die Kubanerin Yarisley Siva stand bereit zu ihren dritten Versuch, Silke Spiegelburg flüchtete sich auf die Tribüne, sie mochte nicht zuschauen. Würde Siva reißen, ginge die Medaille aufgrund der geringeren Anzahl an Fehlversuchen an die Leverkusenerin. Die Latte blieb liegen.

„Eben kamen überhaupt keine Tränen, dann kamen wieder Tränen“, rang Spiegelburg mit der Fassung. „Ich habe auf dem Höhepunkt die beste Leistung abgerufen, wäre fast persönliche Bestleistung gesprungen“, versuchte sie, dem Wettkampf etwas Positives abzugewinnen. Aber am Ende stand da die Vier. Und als Issinbajewa draußen die Weltrekordhöhe von 5,07 Meter auflegen ließ, an der sie dreimal scheiterte, wollte Spiegelburg nur eins: Raus aus dem Stadion.

Wolfgang Birkenstock