BERLIN. „Oh, wie ist das schön“, stimmte das Publikum im Berliner Olympiastadion spontan an. Über 60.000 waren es am Samstagabend, die euphorisch die erste Goldmedaille des Tages für das deutsche Team beklatschten und besangen. Der Leverkusener Hochspringen Mateusz Przybylko holte mit 2,35 Metern den Titel. „Ich bin einfach nur unfassbar glücklich, dass es geklappt hat, es war immer mein Traum, eine Goldmedaille zu holen“, suchte er nach Worten. „Ich hatte bei der Qualifikation gemerkt, da geht was, ich wollte auf dem Podest stehen, aber dass es Gold wird …“
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Der erste und bisher einzige deutsche EM-Titel im Hochsprung liegt schon einige Jährchen zurück. 1982 war es Dietmar Mögenburg, der mit 2,30 Metern in Athen der Beste war. Diese Leistung hätte 2018 nicht für eine Medaille gereicht. Es wurde streng ausgesiebt. Nach 2,24 Metern waren noch sieben der ursprünglich zwölf Finalteilnehmer im Rennen. Auch der Hannoveraner Eike Onnen scheiterte an dieser Höhe und wurde Achter. Bei 2,28 Meter war für weitere drei Akteure Schluss. Ab 2,31 Meter, als noch vier Springer im Feld waren, begann die Verteilung der Medaillen.
Hinter Mateusz Przybylko, Stabsunteroffizier bei der Bundeswehr, sicherte sich Maksim Nedasekau aus Weißrussland mit 2,33 Metern Silber, Bronze gab es für den Russen Ilya Ivanyuk für übersprungene 2,31 Meter. Gianmarco Tamberi aus Italien wurde Vierter (2,28).
Nur ein paar Minuten nach dem Sieg des Leverkuseners sorgte Malaika Mihambo (LG Kurpfalz) für die zweite deutsche Goldmedaille des Abends. Von der Weitsprungkonkurrenz hat Przybylko gar nichts mitbekommen. „Ich war so im Tunnel, ich war die ganze Zeit auf meinen Wettkampf fokussiert und konzentriert.“ Tatsächlich hat man ihn, eigentlich ein lockerer und leutseliger Typ, noch nie so konzentriert erlebt. Hin und wieder tauschte er sich mit seinem Trainer Hans-Jörg Thomaskamp aus, sonst ließ er keine Ablenkung zu. „Es ist quasi alles automatisiert, es funktioniert alles, es ist alles da. Ich musste mich nur konzentrieren. Mein Trainer hat immer gesagt, das große K, denk dran: Konzentration! Du kannst das, du hast das drauf“, so Przybylko. Für Thomaskamp ist das eine „neue Qualität“ seines Athleten. Und mitentscheidend für den Sieg im Olympiastadion. Auch wenn es „ein schwieriges Ding“ gewesen sei, seinem Schützling diese Fähigkeit anzutrainieren.
Nach der WM 2017 in London, wo Przybylko mit 2,29 Metern Fünfter wurde, hat er seinen Anlauf und den Absprung umgestellt, er springt nun ein Stück weiter vor der Latte ab, fühlt sich damit wohler, da er schneller geworden ist im Anlauf. Trainer Thomaskamp sieht mehrere Vorteile. Zum einen sei die neue Technik fußschonender, beuge also Verletzungen vor, zum anderen „kann er so die Kräfte besser in Höhe umsetzen.“
Vor drei Jahren war Przybylko erstmals über 2,30 Meter gesprungen. „Es ist eine konstante Entwicklung“, sagt Thomaskamp. „Er konnte in den vergangenen zwei Jahren ohne Verletzungen durchtrainieren und viele Wettkämpfe auf hohem Niveau absolvieren. Das gibt Sicherheit.“
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Bessere Konzentrationsfähigkeit, geänderte Technik, verletzungsfreie Vorbereitung – einige Faktoren, die zum Titelgewinn beitrugen. Und natürlich das Publikum. „Ich wurde echt beflügelt, die haben mich über die Latte getragen“, zeigt sich der 26-jährige gebürtige Bielefelder begeistert von der Stimmung im Olympiastadion. „Ich fand die Atmosphäre unbeschreiblich.“ Immer wieder hat er das Publikum gefordert, die Fans animiert, ihn zu unterstützen. „In Berlin, beim Heimpublikum, da kann man nur gewinnen, wenn die einen so puschen“, so Przybylko. „Es war ein perfekter Wettkampf.“
Als es bei 2,35 Metern um Silber und Gold ging, setzte der Weißrusse Maksim Nedasekau sein Pokerface auf. Ihm blieb auch nicht viel anderes übrig. Da Przybylko bislang fehlerfrei alle Höhen im ersten Versuch überquert hatte, hätten ihn übersprungene 2,35 Meter dem Titel kaum näher gebracht. Also hob er sich nach zwei Fehlversuchen über diese Höhe den verbliebenen Sprung für 2,37 Meter auf. Als die Latte fiel, gab es beim neuen Europameister kein Halten mehr. Trotzdem ließ er 2,38 Meter auflegen, versuchte sich daran aber nur einmal. „Da ging nichts mehr. Ich bin fix und fertig. Ich habe bei jedem Sprung 200% gegeben.“
Für eine nicht enden wollende Ehrenrunde reichten die Kräfte aber noch. „Ich habe mich beim Publikum bedankt, das Publikum hat sich bei mir bedankt.“